Artikel Mystikum Magazin Ausgabe 59
Montag, 01. Juli 2013
Der Auszug der Hebräer aus Ägypten, auch als der Exodus bekannt, ist wohl eine der bekanntesten Geschichten der Bibel. Aus dem Alten Testament erfahren wir, dass es an die sechshunderttausend Menschen waren, welche sich aufmachten, die Knechtschaft der Ägypter zu verlassen. Ihr Anführer war ein gewisser Moses, ein Findelkind, welches am Hofe des Pharao aufgewachsen war und sich zum Sprachrohr der unterdrückten Hebräer aufgeschwungen hatte. Nach einer vierzigjährigen (!) Wanderung durch die Wüste führte Moses die Hebräer ins gelobte Land Kanaan, wo aus den Ankömmlingen das von Gott auserwählte Volk der Israeliten entstand. Der Zug von Ägypten nach Kanaan war von einer Vielzahl kriegerischer Auseinandersetzungen und Ereignisse geprägt, von denen ich nachfolgend einige auf ihre historischen Hintergründe untersuchen möchte.Betrachten wir zunächst die Zahl von sechshunderttausend Menschen, welche sich laut dem Alten Testament gleichzeitig auf den Weg machten. Es wäre eine logistische Meisterleistung gewesen, solch eine riesige Menge an Menschen geordnet und mit genügend Reiseproviant versehen auf eine Wanderung durch die Wüste zu schicken. Zudem würde eine Abwanderung in dieser Größenordnung zu einem demographischen wie sozialen Wandel in Ägypten geführt haben, welcher in der ziemlich exakten Geschichtsschreibung der Ägypter unbedingt Erwähnung gefunden hätte. Eben dieses war nicht der Fall. Fakt ist, dass es im 15. bis 13. Jahrhundert v. Chr., dem grob umrissenen Zeitrahmen des angeblichen Exodus, in Ägypten kein Volk der Hebräer gab. Allerdings wissen wir heute von einer Bevölkerungsschicht, welche im alten Ägypten als Habiru bezeichnet wurde. Habiru bedeutete damals so etwas wie Heimat- und Besitzlose, heute würde man wohl abwertend Unterschicht dazu sagen. Bei den Habiru handelte es sich in der Mehrzahl um Wanderarbeiter, Viehhirten und sonstige Gelegenheitsarbeiter. Zum Teil waren es auch semitische Nomaden, welche sich im Herrschaftsgebiet von Ägypten aufhielten und auf der Suche nach Arbeit umherzogen. Auf Grund des niederen sozialen Status jener Menschen war der Begriff Habiru bei den Ägyptern zu einer Art Schimpfwort geworden, mit welchem alle zwielichtigen Teile der Bevölkerung bezeichnet wurden. Ab dem 14. Jahrhundert v. Chr. kam es dann zu einer Art Völkerwanderung innerhalb jener Bevölkerungsgruppe, dem historischen Hintergrund des biblischen Exodus. Allerdings zogen nicht alle sozial Benachteiligten auf einmal ab. Wer keine Zukunft mehr für sich in Ägypten sah, tat sich mit Gleichgesinnten zusammen und machte sich auf den Weg Richtung Kanaan, was zur damaligen Zeit als das „Gelobte Land“ galt. Eine der größeren Gruppen wurde wohl von einem Mann namens Moses angeführt, welcher großes Ansehen unter den Habiru genoss. Laut der Bibel war Moses ein Findelkind, welches die Tochter des Pharao wie ihren eigenen Sohn aufzog. Schon seit geraumer Zeit vertreten verschiedene Forscher die These, dass jener Moses mit dem abgesetzten Pharao Echnaton identisch war. Echnaton ging in die Geschichte als jener Pharao ein, welcher versuchte, in Ägypten den Monotheismus einzuführen. Seine Religion des einzigen Gottes Aton stieß jedoch auf breiten Widerstand bei Priesterschaft wie Bevölkerung. Zu abrupt und mit aller Macht wollte Echnaton die neue Religion durchsetzen. Er ließ die Tempel der alten Götter schließen, deren Statuen zerstören und die Namen aus den Aufzeichnungen tilgen. Heute wissen wir, dass Echnatons Politik der religiösen Umwälzung von vorn herein zum Scheitern verurteilt war. Im Volk kam es immer wieder zur Auflehnung gegen den Pharao und seine neue Religion des Sonnengottes Aton. Auf Drängen seiner Berater ließ Echnaton seinen Bruder Semenkhare als Mitregenten einsetzen. Diese Geste des guten Willens sollte das Volk jedoch nur kurze Zeit beruhigen. Echnaton verlor schließlich seinen Thron und verschwand von der politischen Bildfläche. Sein 1891 entdecktes Grabmal fand man ungenutzt, so dass es scheint, dass Echnaton einfach aus Ägypten verwand. Vermutlich hatte er seine Flucht von langer Hand geplant. Die Echnaton-Moses-Theorie geht davon aus, dass der frühere Pharao Jahre später inkognito in seine Heimat zurück kehrte, um seinen Thron zurück zu erobern. Mitstreiter für diesen Plan suchte er wohl bei der von den Ägyptern unterdrückten Volksschicht, den bewussten Habiru. Nach einiger Zeit sah Echnaton/Moses die Undurchführbarkeit seines Planes ein und führte seine Anhänger in Richtung Kanaan, um dort eine neue Dynastie zu gründen. Wenn wir den biblischen Moses mit dem historischen Echnaton gleichsetzen, ergibt sich auch für die berühmte Bundeslade eine völlig neue Deutung. Laut dem Alten Testament stieg Moses auf den Berg Sinai, wo er von Jahwe persönlich die Gesetzestafeln mit den 10 Geboten erhielt. Zudem bestimmte Jahwe den Bau einer Truhe, in welcher die Tafeln aufbewahrt werden sollten. Dank einer genauen Beschreibung in der Bibel, wissen wir ziemlich genau, wie die sogenannte Bundeslade ausgesehen haben muss. Nach Jahwes Vorgaben sollte die Lade aus goldüberzogenem Akazienholz bestehen, zweieinhalb Ellen lang, eineinhalb Ellen breit und eineinhalb Ellen hoch sein. Auf jeder Seite befanden sich zwei goldene Ringe, durch welche man die ebenfalls vergoldeten Tragestangen stecken konnte. Den Deckel der Lade krönten zwei Cherubien, ebenfalls aus Gold. Wenn Sie mich fragen, ein bisschen viel Edelmetall für so ein armes Volk. Zudem Moses auf Jahwes Anweisungen hin noch weitere vergoldete Gegenstände bauen lassen sollte, wie etwa den Schaubrottisch. Erstaunlicherweise fand man im Grab des Pharaos Tutanchamun eine Truhe, welche der Beschreibung der biblischen Bundeslade verblüffend genau entsprach. Möglicherweise hatten alle Pharaonen solche kostbaren Truhen, welche wohl zu repräsentativen Zwecken verwendet wurden. Damit würde sich erklären lassen, wie so ein kostbarer Gegenstand in die Hände der Habiru kam. Echnaton/Moses hatte die Truhe einfach auf den Auszug mitgenommen und präsentierte ihn zu gegebener Zeit seinen Anhängern. Einen ähnlich erklärbaren Hintergrund werden auch die bereits erwähnten Zehn Gebote haben, mit welchen laut der Bibel Jahwe seinen Bund mit den Israeliten bekräftigte. Ich als rational denkender Mensch bin mir ziemlich sicher, dass Moses seinen Gott nicht persönlich getroffen hat. Ich könnte mir eher vorstellen, dass Moses in einer Art Vision oder Trance seine Glaubensvorstellungen bildlich vor sich sah und jene dann in die Steintafeln meißelte. Zur Bekräftigung seiner religiösen Ansichten ließ Moses vor seinen Anhängern dann verlauten, dass Jahwe ihm persönlich die Zehn Gebote verkündet habe. Das war auch bitter nötig, denn so absolut wie heute angenommen, war die Religion des einen Gottes zu jener Zeit noch nicht. Vielmehr hing noch ein großer Teil der Habiru dem althergebrachten Stierkult an, darunter auch Moses Bruder Aron. In diesem Zusammenhang ist auch die Erschaffung des Goldenen Kalbes zu sehen. Hierbei handelte es sich mit Sicherheit um keinen Gegenstand aus puren Gold. Vielmehr ist das Goldene Kalb als Metapher für den Stierkult zu sehen. Jener Kult war im alten Ägypten weit verbreitet, wobei der Stier regional bedingt verschiedene Götter symbolisierte, unter anderem Atûm-Re, Ptah oder auch Month. Der Stierkult war eine unter den Habiru weit verbreitete Religion. Echnaton/Moses hatte mit seiner monotheistische Glaubensvorstellung einen schweren Stand bei seinen Begleitern. Daher bin ich mir auch ziemlich sicher, dass Echnaton/Moses die Vision seines Gottes auf dem Berg Sinai mehr als ausschmückte und eine flammende Rede vor den Habiru hielt. Ich kann mir bildhaft vorstellen, wie Echnaton/Moses die Steintafeln mit den Zehn Geboten emporhielt und seinen Zuhörern von dem einen Gott Jahwe predigte. Die biblische Zerstörung des Goldenen Kalbes ist dann wohl dahingehend zu deuten, dass Echnaton/Moses seine Mitstreiter von der neuen Religion überzeugen konnte. Allerdings geriet der Stierkult auch bei den späteren Israeliten nie ganz in Vergessenheit. Zeugnis legt davon das sogenannte „Eherne Meer“ ab, welches im Vorhof des Salomonischen Tempels stand. Hierbei handelte es sich um einen bronzenen Kessel mit fünf Meter Durchmesser und einer Höhe von gut zwei Meter fünfzig. Getragen wurde der Kessel von zwölf bronzenen Stieren. Jene Stiere deuten darauf hin, dass Teile des altägyptischen Stierkultes Einzug in die jüdische Religion fanden.Während der Landnahme Kanaans durch die Habiru kam es auch immer wieder zu militärischen Auseinandersetzungen mit der einheimischen Bevölkerung. Am wohl bekanntesten ist der Fall der Stadt Jericho. Die stark befestigte Stadt wurde von den Jebusitern bewohnt und galt als uneinnehmbar. Die meterhohen Mauern hatten seit jeher jeder Belagerung stand gehalten und auch die Israeliten, welche inzwischen von König Josua angeführt wurden, sahen keine Möglichkeit, Jericho einzunehmen. Doch wieder einmal kam Gott Jahwe seinen Anhängern zu Hilfe. Er gab König Joshua folgenden Rat: Die Kinder Israels sollten sechs Tage lang jeweils einmal schweigend um die Stadt ziehen. Nur die sieben Priester, welche der Bundeslade voran gingen, sollten ihre Posaunen blasen. Am siebten Tag sollten die Israeliten sieben Mal um die Stadt ziehen und beim siebten Erschallen der Posaunen in lautes Kriegsgeschrei ausbrechen. Darauf würden die Mauern von Jericho einstürzen. So wie Jahwe es versprochen hatte, geschah es auch. Die Stadtmauern stürzten ein und die Eroberer konnten Jericho einnehmen. Hierbei handelt es sich wiederum um eine schöne biblische Geschichte, welche jedoch einer genaueren Untersuchung bedarf. Das Lager der Historiker ist beim Fall von Jericho gespalten. Die Mehrzahl der Forscher ist der Ansicht, dass Jericho zu Zeiten des Exodus eine kleine, unbefestigte Ortschaft war, welche leicht erobert werden konnte. Allerdings dürfen wir nicht gänzlich an den historischen Wurzeln der biblischen Geschichten zweifeln. So sah es wohl auch der Geophysiker Amos Nur. An der Grabungsstelle Tell es-Sultan nahe dem heutigen Jericho nahm der Wissenschaftler umfangreiche Untersuchungen vor. Er fand stichhaltige Beweise für ein Erbeben, welches den Israeliten zu Hilfe gekommen sein muss. Erdbeben waren in der seismisch sehr aktiven Region keine Seltenheit. Amos Nur fand Hinweise auf nicht weniger als zweiundzwanzig Erdbeben im Untergrund der Ruinen des früheren Jericho.Zusammenfassend kann man sagen, dass es mit Sicherheit eine Abwanderungsbewegung aus Ägypten Richtung Kanaan gab. Den Habiru, welche auf der Suche nach einer neuen Heimat waren, schlossen sich auf dem Zug Richtung Kanaan verschiedene kleine semitische Stämme und Großfamilien an, so dass es ein buntes Völkergemisch war, welches nach und nach im „Gelobten Land“ eintraf. Gemeinsam mit der ortsansässigen Bevölkerung in Kanaan entwickelte sich daraus dann in der Folgezeit das Volk der Hebräer.
 
 
   
 
 
MIKE VOGLER - SACHBUCHAUTOR